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Musik: Mohamed's Call (1.8MB)

Da sind wir nun also in der Wüste. Genauer gesagt im Süden Tunesiens, im Grand Erg Oriental, wie sich dieser Teil der Sahara nennt. Wir - das sind neun Franzosen, elf Kamele, vier Kameltreiber und ich. Gut 50 km haben wir zurückgelegt, seit uns die Jeeps vor vier Tagen bei 33° 09' N, 8° 42.2' O abgesetzt haben. Seit drei Tagen wandern wir also durch die Wüste. Seit drei Tagen. Erst? Oder schon?
 
    Nun, das ist inzwischen nicht mehr wichtig. Der Tagesablauf ist längst zur Routine geworden. Aufstehen, Frühstück, Kamele beladen, wandern, Mittagsrast, wandern, Lager aufschlagen, kochen, essen, schlafen, aufstehen, Frühstück, Kamele beladen ... Ein Tag gleicht dem anderen ... Halt! Nicht so schnell! Wo bleiben die Details? Die Dünen - sie sehen jeden Tag, jede Stunde anders aus; der Mond - er geht jeden Tag etwas später auf; die Spuren, die spärliche Vegetation; die menschlichen Interaktionen, geprägt vom sozialen Hintergrund, von den Vorstellungen und Erwartungen jedes Einzelnen und von dem, was er hier findet. L'enfer - c'est les autres? Nein, wir kommen recht gut miteinander aus.
 
    Doch zurück zum Tagesablauf. Christian, der Reiseleiter, schlägt noch vor Sonnenaufgang den Gong, sprich den Kochtopf. In den nächsten Minuten kommen die verschiedensten Gestalten hinter Büschen und Dünen hervor. Sie klopfen sich Sand und Eis aus den Kleidern und steuern auf die zentrale Feuerstelle, die "Küche", zu. Ja, es gibt Büsche in der Sahara, zumindest da, wo wir sind. Und ja, es gibt Eis: In der Nacht hat es deutlich Minusgrade, die Luftfeuchtigkeit ist gar nicht so gering wie man meinen könnte, und am Morgen ist alles von einer dünnen Eisschicht bedeckt. Auch die Dünen, was in der aufgehenden Sonne sehr hübsch aussieht. Aber bis dahin ist es noch ziemlich kalt, und verschlafen wärmen wir uns am Lagerfeuer. Zum Frühstück gibt es Kaffee, Tee, Weißbrot, Marmelade, Schmelzkäse und Müesli. Die Chameliers (unsere einheimischen Begleiter) sind schon lange auf den Beinen. Es ist nämlich Ramadan, der islamische Fastenmonat, und sie dürfen zwischen Sonnenauf- und -untergang weder essen noch trinken noch rauchen. Frühstück, Abwaschen, Zusammenpacken, Kamele beladen. Wenn alles fertig ist, ziehen wir los.
 
    Wir wandern über große und kleine Dünen, überqueren ganze Dünenzüge oder umgehen sie. Im Schnitt legen wir so 14 km pro Tag zurück - Luftlinie. Ali der Ältere führt die kleine Karawane an. Er richtet sich nur nach der Sonne. "Le GPS dans la tête", wie Abdallah es nennt. Unsere Gruppe ist oft weit verstreut. Manche von uns ziehen es vor, mit der Karawane zu gehen, die meist die einfachere Variante wählt. Denn im tiefen Sand dünauf und dünab zu stapfen ist auf die Dauer ganz schön anstrengend. Andere wiederum schlagen sich zu zweit, zu dritt oder auch allein in die Dünen, führen kleine Streifzüge durch, genießen die Weite, die scheinbare Grenzenlosigkeit und die makellose Stille der Wüste.
Weit, scheinbar grenzenlos und doch so beschränkt. Denn von der vorgegebenen Richtung abzuweichen, sich allzu weit von der Gruppe und den Kamelen -die ja das Wasser transportieren- zu entfernen, ist nicht ohne Risiko. Schnell sind die anderen auch zwischen kleinen Sandhügeln außer Sicht, und ohne Kompaß hat man sich leicht verirrt. Auch mit Orientierungshilfe braucht es schon etwas Selbstvertrauen, sich zwischen den Dünen zu verlieren, in die Weite und Stille zu tauchen um erst nach Stunden zur Gruppe zurück zu finden. Und Vertrauen braucht es auch von Christian, der ja keinen verlieren darf ...
 
    Dünauf, dünab. Was mich gefangen nimmt ist die Vielfalt im Detail. Die Formen der Dünen: Kämme, Grate, elegant geschwungen, sanfte Hänge, steile Flanken ... kein Dünenzug gleicht dem anderen, und alles wechselt mit dem Licht. Oft hab ich zurück geblickt und wären da nicht meine Spuren gewesen, hätt ich nicht geglaubt, diese Landschaft gerade durchquert zu haben. Es sieht aus jeder Richtung anders aus. Der Vergleich mit einer Winterlandschaft drängt sich auf. Was für ein Genuß, einen langen Grat hinauf zu ziehen und dann leeseitig die Flanke hinunter zu springen (beim nächsten Mal nehm ich Figel mit!). Die Spuren: Es gibt viele davon, von Ameisen, Schlangen, Eidechsen, Wüstenfüchsen, sogar von Gazellen und vereinzelt von Kamelen. Manchmal trifft man auch auf die Spur eines Nomaden. Es hat schon etwas Eigenes, in dieser Weite auf die Spur eines anderen Menschen zu stoßen. Auch wenn man nicht seine Sprache spricht. Und dann die Spuren der Kameraden. Manchmal wie ein netter Gruß, wie eine Einladung. Manchmal etwas, das ich lieber meide. Ein Stück Sicherheit, denn sie führen dich zum nächsten Lager. Auch ein Stück Vergänglichkeit, denn mit Wind sind sie binnen Minuten verschwunden.
 
    Das Wasser. Einmal füllen wir in diesen zehn Tagen unsere Wasservorräte an einem kleinen Brunnen auf. Ansonsten sind wir autonom. Aber eben diesen Brunnen heißt es finden. Ein GPS bietet da schon große Sicherheit. Das Wasser aus dem tiefen Brunnen zu schöpfen ist harte Arbeit. Es dauert Stunden, bis unsere Wasserschläuche wieder gefüllt und die Kamele getränkt sind. Ein einzelner Nomade mit seinem Kamel kommt dazu. Er wartet geduldig, bis wir fertig sind, dann füllt auch er seine Vorräte auf und wäscht ein paar Kleidungsstücke. Wer weiß, wie weit er dafür gegangen ist und wann er das nächste Mal an einen Brunnen kommt. Das Wasser ist nie knapp auf unserer Reise. Aber die Möglichkeit, daß es knapp werden könnte, die Notwendigkeit, sehr sparsam damit umzugehen, sind schon eine gute Erfahrung für uns verwöhnten Europäer. Ebenso das Leben in und mit der Natur. Keine Uhr bestimmt uns, einzig der Sonnenstand. Nachts ist es kalt; sobald die Sonne heraußen ist, ist es warm, manchmal sogar heiß.
 
    Am späten Vormittag machen wir eine kleine Pause. Es gibt Brot, Wurst, Käse, Datteln. Christian zaubert täglich neue Schätze hervor. Schinken, Speck, Käse von Gouda bis Tomme de Savoie. Wie war das mit den verwöhnten Europäern? Ich bin eben mit Franzosen unterwegs, und da ist das Essen ein ständiges Thema. Die Chameliers schauen bloß zu. Sie essen und trinken nichts, es ist ja Ramadan. Danach legen wir noch einige km zurück bevor wir das Lager aufschlagen. Das Lager aufschlagen heißt eine Kochstellte herrichten, Feuerholz suchen, Tee kochen, Gemüse putzen. Die Kamele weiden in der Nähe. Sie haben Kniefesseln, damit sie sich nicht zu weit entfernen. Seinen Schlafplatz sucht sich jeder nach Lust und Laune zwischen den Dünen. Eine Matte, ein warmer Schlafsack, darüber eine Decke oder ein Biwaksack gegen die Feuchtigkeit - mehr braucht es nicht. Halbwegs windgeschützt soll's sein und nicht allzu weit weg vom Lagerfeuer, damit man erstens den Platz in der Nacht wiederfindet (ich hab mal eine ganze Weile gesucht ...) und zweitens den "Gong" am Morgen nicht überhört. Essen: Am Nachmittag gibt es Salat; am Abend Suppe und Couscous, Makkaroni oder Reis, und als Nachspeise eine Orange oder Schokolade. Wir haben sogar eine Flasche Pastis und zwei Flaschen Whisky - als Aperitiv. Franzosen eben. Schmatz!
 
    Im übrigen haben wir immer drei Feuerstellen: Die von uns Touristen, die von Abdallah, Mabruk und Ali dem Jungen sowie die von Ali dem Alten. Letzterer nimmt in jeder Hinsicht eine Sonderstellung ein. Er ist alt, erfahren und gilt als sehr mutig (Christian erzählt, daß Ali mit Bernezat Expeditionen unternommen hätte, die kein anderer der Chameliers wagen wollte). Außerdem ist er ein Einzelgänger par excellence. Nie ißt oder lagert er mit den anderen. Sein Feuer brennt immer abseits. Ein Sohn -oder besser Vater- der Wüste wie aus einem Karl May Roman.

Auch die anderen sind interessante Figuren. Abdallah ist mittleren Alters, der einzige, der gut Französisch spricht und anscheinend Christians Mittels- und Vertrauensmann. Er hat schon etliche Berufe ausgeübt. Unter anderem hat er drei Jahre in Lybien gearbeitet um das Geld für seine Hochzeit zu verdienen. Mabruk und Ali d.J. sind beide Ende Zwanzig und immer zum Spaßen aufgelegt. Mabruks zweites Ich ist die Musik. Er entlockt seiner Flöte wirklich sagenhafte Melodien. Unter den weiten Gewändern und Kopftüchern verbergen sich übigens ausgesprochen fesche Gestalten!
 
Nach dem Abendessen kommen Abdallah, Mabruk und/oder Ali d.J. zu unserer Feuerstelle. Ganz selten kommt auch Ali d.A. Sie singen Nomadenlieder, und als Begleitung klatschen und trommeln sie den Rythmus auf Töpfen und Kanistern. Unsere Versuche, ein paar arabische Refains zu lernen, sind wohl ziemlich kläglich. Aber mitklatschen tun wir mit Begeisterung. Einige zumindest. Die anderen verziehen sich bald ins "Bett". Sie müssen schon sehr müde sein um schlafen zu können, denn die fröhlichen Lieder erklingen noch lang ...
 
    Ein paar kritische Bemerkungen finde ich dennoch angebracht: Es ist leider nicht jedem klar, daß die Chameliers unsere Begleiter und nicht unsere Bediensteten sind. Singen und Tanzen, das tun sie aus Heiterkeit bzw. um die Beschwernisse des Tages zu vergessen - und nicht, weil's zur Abendunterhaltung gehört.
Jeder Reiseteilnehmer kommt mit anderer Motivation und Einstellung. Jeden reizt etwas an dieser Vorstellung - Wüste. Und jeder reagiert charakteristisch darauf. Der eine nimmt die Einsamkeit in sich auf, andere bleiben selbst in -oder gerade wegen- der großen Weite immer zusammen und füllen die Stille mit Worten. Jeder wie es ihm entspricht. Aber daß so mancher selbst in der Wüste das "ich will alles und das sofort" nicht ablegen kann (oder will?) finde ich schon schade.
In der Wüste gibt es Sand. Und Wind. Die Kombination aus beiden nennt man Sandwind, und der ist ziemlich unbequem. Wir haben das einmal erlebt - nicht besonders stark aber doch. Und schwups war die Moral dahin - nicht bei allen aber bei vielen. Muß das sein? So ist halt die Natur. Die Wüste ist ein Erlebnis und kein Pauschalurlaub. Dessen sollte man sich klar sein.
 
    Am letzten Tag durchquerten wir über Stunden die Steppe. Hier war es flach, und das gab uns die Gelegenheit, einmal auf den Kamelen zu reiten. Eine sehr schaukelige Angelegenheit und ein riesen Spaß. Bei 32° 24.7' N, 9° 15.4' O trafen wir bei wieder auf die Jeeps. Es war der 31. Dezember 1999. Wir feierten Neujahr im Nirgendwo, fernab von jedem Trubel. Am nächsten Tag ging es zurück in die Zivilisation. Insgesamt hatten wir in den zehn Tagen 140 km (Luftlinie!) zurückgelegt. Es war ein wunderbarer Urlaub.
 
 

Schukran!                        
                Sabine

 
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© S. Kraml - erstellt 7./8. Jan. 2000 - letzte Änderung 17. Apr. 2000